Joaquin Phoenix campt draussen besser als Jake Gyllenhaal

Interview mit John C. Reilly
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John C. Reilly überzeugt in «The Sisters Brothers» als durchdachter, sensibler und vernünftiger Cowboy und bricht dadurch mit altbackenen Klischees. Weshalb dieser Film für ihn und seine Frau wichtig ist, welche Botschaft er mit dem Werk vermitteln möchte und wie sich die Arbeit am Set umringt von Joaquin Phoenix, Jake Gyllenhaal und Riz Ahmed anfühlte, erzählte er uns im Interview während des letztjährigen Zürich Film Festivals. Hier findest du unsere Filmkritik.

 

 

Herzliche Gratulation zum Film! Euch ist es gelungen einen modernen Western zu drehen, in dem die Gesetzlosen tatsächlich Gefühle und Gedanken vor dem Publikum teilen. Ein Film ohne sinnloses Machogetue. Wie wichtig war es euch das weibliche Publikum anzusprechen.

 

Vielen lieben Dank, so was hört man gerne. Wichtig waren uns auch die weiblichen Figuren. Obwohl diese sehr rar im Film sind, haben die wenigen Frauen im Film umso prägendere Rollen. Jetzt im Nachhinein finde ich es sehr spannend, dass insbesondere Frauen de Film mögen und die Art und Weise wie wir das Männerbild damit prägen. Uns war es ehrlich gesagt nicht ein Anliegen einen Western fürs weibliche Publikum zu machen, Joaquin und ich haben es geliebt uns als Brüder zu raufen und wieder zu vertragen. Wenn ich jetzt aber den Film betrachte, mit dem Abstand, den ich nun in der Zeit nach dem Dreh besitze, sehe ich es auch. Die Hauptfiguren prägen ein Männerbild, dass es meiner Ansicht nach immer schon gab, aber in Filmen wenig vorkam. Den meiner bescheidenen Meinung nach sind alle Männer sensibel, oder besitzen eine sensible Seite. Dieser eindimensionale Machotyp ist gar nicht existent. Wir sind alles menschliche Wesen und besitzen als diese empfindliche Seiten. In der heutigen Zeit mit der ganzen #metoo-Debatte wird diesem Teil des Films auch mehr Bedeutung zugesprochen. Frauenrechte sind Menschenrechte. Aber was vergessen geht ist, dass auch Männer von doofen, altbackenen Stereotypen diskriminiert werden, wie eben des blöden, gewalttätigen Macho-Cowboy. Um weiter voran zu kommen. Müssen wir in der Gesellschaft alle Stereotypen ablegen, jene bei den Frauen wie auch bei den Männern. Es freut mich mit «Sisters Brothers» einen Teil dazu beitragen zu dürfen.

 

 

Im Film spielt auch eine Transgender-Schauspielerin mit Rebecca Root, welche als Junge zur Welt kam.

 

Ihre Besetzung ist brillant. Sie spielt Mayfield, eine Grossgrundbesitzerin, die ein recht lukratives Spirituosengeschäft besitzt. Im Buch von Patrick DeWitt ist Mayfield ein alter weisser Mann. Als Regisseur Jacques Audiard jedoch ein altes Archivbild während der Recherchephase herausholte, dass eine Barbesitzerin mit Bart zeigte, wollte er diese Interpretation vom Mayfield auf die Grossleinwand bringen. Wir haben auch versucht Rebecca einen Bart anzukleben, so ironisch, dass dies jetzt klingt. Da Rebecca jedoch eine grosse Allergie gegen das Bartklebemittel entwickelte, beschlossen wir den Bart wegzulassen, was wie sich herausstellte ein sehr vernünftiger Entscheid war. Ich denke der Film gefällt auch deswegen, weil er zwar ein Kostümfilm ist, aber genau den Nerv unserer heutigen Zeit getroffen hat. Sei es mit Rebecca, der gezeigten Männlichkeit der beiden Brüder. Hinter uns – und damit meine ich nicht bloss den wilden Westen – sondern die ganze menschliche Gesellschaft an und für sich – hinter uns liegen Brutalität, Gewalt, das Überleben der Stärkeren. Aber wohin führt uns dies? Wie soll die Zukunft aussehen? Ausbeuten kann nicht die Antwort sein, weder für zwei Cowboys im wilde Westen noch für uns heute. Aber genau dies tun wir immer noch. Wir beuten unsere Natur aus, unsere Ozeane und grünen Wälder. Wir beuten andere Menschen aus, führen Krieg, lassen Leid und Elend zurück. Aber Negativität und Konflikt sind keine dauerhafte Lösung für eine nachhaltige Zukunft. Wenn zwei Brüder im mittleren Westen zu dieser Einsicht kommen können warum nicht wir geschulten Menschen im Jahr 2018? Es ist wirklich sehr interessant welche Interpretationen dieser Film nun im Rückblick zulässt. Als ich ihn gemacht habe, so muss ich ehrlich zugestehen, habe ich mir all diese Überlegungen nicht gemacht. Aber wenn dachte schon, dass wir einen Western mit Zeitgeist drehen (lacht).

 

 

Deine Frau hat dich ermutigt diesen Film zu drehen und diese Rolle des einfühlsamen Cowboys anzunehmen.

Meine Frau Alison ist eine sehr versierte Produzentin von Independent Filmen. Sie war bitten in der Nachproduktion von Terri, einem Film, bei dem Patrick DeWitt das Drehbuch schrieb und sie erkundigte sich ob es dann vielleicht mal nichts Neues von Patrick gäbe, etwas das vielleicht mal eine grössere Rolle für mich beinhalten würde. Weil – sind wir ehrlich -  die grosse Masse kennt mich eher als Nebendarsteller. Ich komme wie ein SWOT Team für die Hauptdarsteller, sorge dafür, dass sie auf ihrem Weg das Ziel nicht aus den Augen verlieren und gehe wieder. Sie wollte vielleicht einfach mal die Frau des Hauptdarstellers sein (lacht), ich weiss nicht (lacht). Wie es der Zufall wollte, schrieb Patrick gerade an seinem «The Sisters Brothers» Roman und Alison gab mir das Buch zum Lesen. Und ich las es, was einem kleinen Wunder gleichkommt. Da ich sehr viel Drehbücher lese, besitze ich keinen grossen Drang danach im meiner Freizeit Belletristik zu lesen, mich zieht es eher zu Biographen. Da ich ja viel «Fiction» mache, bin ich sehr in «Non-Fiction» interessiert. Macht das Sinn (lacht)? Was sie sah in der Figur des Elia, passte schon sehr gut zu mir. Ich habe sehr viele brüderliche Bände in meinem Leben gesponnen. Zum einen natürlich mit meinen eigenen Brüdern, aber auch mit vielen K-Darstellern, Filmemachern, Produzenten usw. Und dann gab es diese universale Dimension von Elias Charakter die uns alle anspricht. Dieses «anders von der Welt gesehen werden». Dieses Gefühl, dass man selbst mehr ist als dass was die anderen in einem sehen. Und das kennt jeder von uns. Wenn du im Bus sitzt und jemand dich beobachtet. Welche Gestik du machst, welche Mimik, was für Kleider du anhast, all dies führt dazu, dass sich die Leute ein Bild von dir machen. Und dieses kann sehr weit von dem entfernt sein, wie du wirklich bist oder dich fühlst. Und all das sah ich in der Figur des Elia. Wie er sprach, siech ausdrückte, welche Gedanken ihm durch den Kopf gingen, all dies war so viel tiefgründiger als das klassische, stoische Cowboyverhalten.

 

Du praktizierst transzendentale Meditation. Wie half sie dir bei diesen Dreharbeiten?

Zuerst einmal fingen die Arbeiten von mir und eben meiner Frau nicht beim Dreh dieses Filmes statt, sondern viel viel früher. Es dauerte schliesslich sieben Jahre bis der Film entstand, dafür braucht es viel Willenskraft und starke Nerven. Da hilft das Meditieren. Aber auch beim Dreh selbst. Ich musste mich in der Natur zurechtfinden, mit Joaquin als meinen Filmbruder. Wir hatten keinen einfachen Start, wir mussten uns erst einander gewöhnen. Dass alles braucht Kraft und die fand ich beim Meditieren. Angefangen hat es bei mir aber mit der Zen Meditation als ich Theater machte. Ich war viel fokussierter und ruhiger auf der Bühne während meiner Darbietung, wenn ich vorher meditiert habe.

 

Bist du ein Naturbursche?

Oh ja das auf jeden Fall. Ich liebe es Zeit draussen zu verbringen!

 

Und mit wen von denen Ko-Darstellern würdest du am ehesten draussen Campen? Mit Joaquin, Jake oder Riz?

 

Mit Joaquin, auf jeden Fall mit Joaquin.

 

Das war aber ein schneller Entschluss. Weshalb wählst du ihn?

Wenn ich draussen in der Natur mit irgendwem campen müsste, dann mit ihm, weil er sich sehr gut auskennt und einfach in der Natur draussen überlegen kann. Viel besser als die anderen (lacht). Er hatte eine sehr wilde Kindheit, hat viel Zeit draussen verbracht und fühlt sich draussen sehr wohl. Es war eine schöne Zeit in Spanien während den Dreharbeiten, wir beide auf den Rücken der Pferde… Wir hatten zwar Trailer aber die nutzten wir nur zum Anziehen der Kostüme, sonst verbrachten wir die ganze Zeit draussen in der schönen Natur. Ich glaube aber, dass Jacques Audiard und der Rest der Crew ein wenig enttäuscht über Joaquins und meine Reaktion zur Landschaft waren. Weil wir die Natur so komplett ignorierten beim Dreh. Unsere Figuren sind Naturburschen, sie kennen die Wälder, Bäche, Berge. Sie beeindruckt, dass nicht mehr. Um wirklich authentisch spielen zu können. Mussten wir all diese Schönheit als selbstverständlich hinnehmen (lacht).

 

Hättest du im wilde Westen überlebt?

Ich denke wahrscheinlich nicht (lacht). Aber wohl weniger wegen dem rauen Leben, sondern vielmehr wegen meines Gerechtigkeitsempfinden. Ich bin jemand der sich gerne auflehnt und anspricht, wenn etwas nicht fair verläuft oder Ungerechtigkeit herrscht. Und dies hätte mir zu jener Zeit sicher den Kopf gekostet (lacht). Und ich glaube nicht an diesen Western Mythos. Du weisst schon diese fehlgeleitete Überlegung, dass du alles Unrecht dieser Welt mit ein paar Patronen in deiner Pistole richten kannst. Diese Herangehensweise hat noch nie Probleme gelöst, sondern viel mehr neue Probleme verursacht.

 

 

«The Sisters Brothers» läuft in den Schweizer Kinos.

 

Tanja Lipak / So, 07. Apr 2019